Keine Hausfrau… Es geht auch anders

Liebes Tagebuch,
20. April 1951

was war das heut bloß wieder für ein Tag!?
In der Vorlesung von Prof. Dr. Meier mussten alle jungen Damen in den letzten Reihen Platz nehmen. Meine Freundin Meike wurde sogar komplett der Vorlesung verwiesen, weil sie eine Marlene-Dietrich Hose anhatte. Wie stolz sie mir noch zuvor berichtet hatte, dass sie die Hose im Kleiderschrank ihrer Mutter gefunden hatte und sie ihre Mutter noch nie darin gesehen hatte. Meike stand diese Hose ausgesprochen gut, wie gemacht für ihre langen Beine. Doch Prof. Dr. Mei-Käfer, wie wir ihn insgeheim nennen, weil er so große Ähnlichkeit mit einem Maikäfer hat, sagte wutentbrannt zu Meike: „Es ziemt sich nicht für eine junge Dame, sich so außerordentlich vulgär anzuziehen.“ Leise flüsterte ich Meike noch ins Ohr, dass sie meine Aufzeichnungen später abschreiben dürfe. Dies brachte mir einen zornigen Blick von Prof. Dr. Mei-Käfer ein.
Des Weiteren waren die Tafelbilder so klein, dass man in der letzten Reihe kaum was erkennen konnte. Ich vermute, dass Mei-Käfer das mit Absicht gemacht hatte, damit nur die jungen Herren in den ersten Reihen was zu Papier bringen können.

Als ich nach Hause kam und dachte, der Tag könnte nicht noch schlimmer werden, belehrte mich meine Mutter eines Besseren.
Sie drückte mir einen Artikel des Amerikadienstes in die Hand, „Bilderbuch der Köchin“, als ich die Überschrift bereits las, verging mir alles. Meine Mutter meinte, dass sie den Artikel extra aufgehoben hatte, um ihn mir später zu geben. In dem Artikel ging es um ein Kochbuch, das zahlreiche Bilder enthielt und deswegen für mich als unerfahrene Köchin besonders gut geeignet sei. Außerdem könnte ich mich mit diesem Kochbuch nebenbei noch weiterbilden, weil es kulturhistorische Betrachtungen über die Geschichte bekannter Lebens- und Genussmittel enthält, zitierte meine Mutter.
(„Bilderbuch der Köchin“, S. 58)
Als ich mich bereits von meinem Stuhl erhoben hatte, um der Diskussion mit meiner Mutter zu entgehen, kam meine Schwester Birgit auf mich zu.
Sie habe vor wenigen Tagen einen sehr interessanten Artikel im Amerikadienst gelesen, bei dem ein Resümee von Müttern vor 25 Jahren und heute gezogen wurde. Ich solle mir diesen Artikel auch gleich noch durchlesen, damit ich meine Scheu vorm Kinder bekommen und einer Ehe verliere. Birgit betonte noch einmal, dass aufgrund technischer Erneuerungen, uns Frauen heutzutage die Kindererziehung und Hausarbeit viel annehmbarer gemacht wird.
(„Die amerikanische Mutter: Vor 25 Jahren und heute“, S. 208 - 210)
Ich schleuderte ihr entgegen, dass ich vor wenigen Monaten ebenfalls einen interessanten Artikel im Amerikadienst gelesen hatte. Der Artikel handelte von Clara Swain, die im Jahre 1869 als erste Missionsärztin nach Indien ging, um den Frauen und Mädchen dort medizinisch zu versorgen.
(„Eine Frau kämpft gegen Konventionen“, S. 118 - 119)
Ich bekräftigte dass es der Grund ist, warum ich Ärztin werden will, um denjenigen zu helfen, die sich selbst nicht mehr helfen können.
Damit knallte ich die Küchentür hinter mir zu und ging in mein Zimmer.

Nein, ich würde nicht den Trampelpfad gehen, den vor mir schon so viele unglückliche Frauen gegangen sind, die ihr Dasein als Hausfrau und Mutter fristeten. Ich werde einen neuen Weg einschlagen, meinen eigenen Weg!

Deine Tamara

Autorin: Sabrina Wilke

Weitere interessante Artikel aus dem Amerikadienst zum Thema:

Amerikadienst – Für die Frau vom 23.01.1952
„Hausfrau oder Karriere?“, S. 462

Amerikadienst - Für die Frau vom 3.10.1949
„Vom Backfisch zur Hausfrau: Amerikanische Schülerinnentragen auf ihre Weise zur internationalen Verständigung bei.“, S. 10 - 11

Amerikadienst – Für die Frau vom 00.12.1956
„Hauswirtschaftslehre als akademisches Studienfach in den USA: Die Familie steht dabei im Mittelpunkt“, S. 140 - 143

Amerikadienst – Für die Frau vom 23.01.1952
„Ausblick auf die Frühjahrsmode 1952“, S. 456 - 457

Amerikadienst – Für die Frau vom 10.01.1951
„Frauen – gestern und heute; Eine kleine Typologie der Frau für die letzten 50 Jahre“, S. 61 - 63

Keine Hausfrau… Es geht auch anders